Angst vor Sanktionen
Der Rechtsruck ist kein deutsches Problem. Antidemokratische Kräfte nehmen in vielen Ländern Einfluss auf Gesetze und Entscheidungen. Wie verändert sich linker Aktivismus unter repressiven Regierungen? Engagierte aus Europa berichten.
Überall dort, wo rechte Kräfte in Regierungen mitmischen, wird es für die engagierte Zivilgesellschaft eng. In Ungarn wird die queere Community aus der Öffentlichkeit gedrängt, in Italien reagiert die Regierung mit harter Repression auf Klimaprotest. Die Auswirkungen einer rechtsradikalen Politik sind immens. Bei Wahlerfolgen der AfD drohen ähnliche Szenarien auch in Deutschland. Doch es gibt Menschen, die sich nicht einschüchtern lassen.
Italien: Klimaprotest und Repression
Seit beinahe zwei Jahren ist Giorgia Meloni Italiens neue Regierungschefin – und als Kopf der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia fährt sie in dieser Funktion einen ultrarechten Kurs, kämpft gegen Abtreibungsrechte, gegen die „LGBT-Lobby“ und gegen Einwanderung.
Auch für Menschen, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen, spitzt sich die Situation weiter zu. Und das ausgerechnet in einem Land, das als Hotspot der Klimakrise gilt: ausgetrocknete Flüsse und Seen, Ernteausfälle, heftige Regenfälle, Erdrutsche, Rekordtemperaturen – die Liste ist lang.
Die Bewegung Ultima Generazione, Italiens Letzte Generation, wird wegen einer Plakataktion behandelt wie eine terroristische Vereinigung. Engagierte werden observiert und Melonis-Regierung verabschiedete das „Dekret Öko-Vandalen“. Die „Verunstaltung oder Verschmutzung von Kulturgütern“ kann mit bis zu 60 000 Euro oder Freiheitsentzug geahndet werden.
Viele Aktive in Italien nehmen solche Repressionen in Kauf. Eine von ihnen ist Ester Goffi. Die Aktivistin von Ultima Generazione hat die Folgen des Gesetzes selbst zu spüren bekommen. Nach einer Protestaktion im Vatikan wurde sie zu einer fünfstelligen Geldstrafe verurteilt. Unterkriegen lässt sie sich davon nicht – und protestieren wird sie auch in Zukunft.
Polen: Gleichschaltung der Medien
Acht lange Jahre führte die nationalistische und rechtspopulistische Partei Prawo i Sprawiedliwość (PiS) Polens Regierung. Darunter hatte vor allem die freie Presse zu leiden. „Die öffentlich-rechtlichen Medien sind verpflichtet, die Opposition zu attackieren und zu diskreditieren, den Regierenden Beifall zu spenden“, erklärte die polnische Journalistin Karolina Lewicka bei 3sat.
Die „Repolonisierung“ der Medien, also das Verdrängen von ausländischen Investierenden vom polnischen Medienmarkt, stand bei der PiS weit oben auf der Agenda. Dadurch kontrollierte Polens Regierung zeitweise mehr als 80 Prozent der lokalen Presse. Die Initiative „Reporter ohne Grenzen“, die sich weltweit für eine freie Presse einsetzt, spricht darüber hinaus von einer Umwandlung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu einem „Sprachrohr“ der Regierungspolitik und von einseitiger Stimmungsmache.
Kritische Stimmen werden finanziell eingeschränkt, zum Teil strafrechtlich verfolgt. Auf der Rangliste der Pressefreiheit stand Polen 2023 auf Platz 57 von 180. Zum Vergleich: Deutschland belegte den 21. Platz.
Bei den Wahlen im Oktober 2023 wurde die PiS-Partei zwar erneut stärkste Kraft, verfehlte aber die absolute Mehrheit. Eine Koalition mit einer anderen Partei kam nicht zustande. Ministerpräsident ist seitdem Donald Tusk, der mit einem Bündnis aus drei Oppositionsparteien regiert. Mit umfassenden Reformen soll auch die Rolle unabhängiger Medien verbessert werden.
Leicht umzusetzen ist das allerdings nicht – vor allem dann nicht, wenn die PiS-Partei mit Präsident Andrzej Duda weiterhin das Staatsoberhaupt stellt.
Ungarn: Anti-LGBTQIA+-Gesetze
Eigentlich war Ungarn bei den Rechten von LGBTQIA+-Personen mal eins der liberalsten Länder Osteuropas. Aktuell ist die Situation aber eine ganz andere. Ministerpräsident Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei haben 2021 bereits das umstrittene „Kinderschutzgesetz“ verabschiedet, von kritischen Stimmen „Homophobiegesetz“ genannt. Dieses verbietet die „Darstellung und Förderung“ von Homosexualität oder Transidentität und erschwert vor allem Minderjährigen den Zugang zu Informationen.
Aufklärung zu diesen Themen ist in Schulen gestrichen, Bibliotheken und Buchhandlungen dürfen Bücher, die diese Themen streifen oder explizit behandeln, nur in Folie eingeschweißt an Erwachsende verkaufen. Zudem müssen Einrichtungen 200 Meter von Schulen oder Kirchen entfernt liegen.
„Dieses Gesetz nutzt den Schutz der Kinder als Vorwand, um Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung schwer zu diskriminieren“, erklärte die alte und neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU).
Ein weiteres Gesetz ermöglicht es, gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern anonym anzuzeigen. Alles für den „Schutz der ungarischen Lebensweise“. „Das Propaganda-Gesetz hat ein Klima der Angst geschaffen. Die Angst vor Sanktionen hält Menschen davon ab, Informationen bezüglich sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität weiterzugeben, zu suchen oder zu erhalten“, fasst Amnesty International zusammen.
Trotz der Bemühungen der ungarischen Regierung, queeres Leben aus der Öffentlichkeit zu drängen, gibt es Menschen, die sich dem entgegenstellen. Eine von ihnen ist Zita Hubi. Sie gehört zur queeren Community im Land und der Budapest Pride. Ausgrenzung ist für sie Alltag – und trotz allem steht für Zita Bubi fest: Sie lässt sich nicht mundtot machen.
Portugal: Rechte Partei mit Einfluss
Lange Zeit nahm Portugal eine Sonderrolle in Europa ein: Rechten Kräften hatte das Land viele Jahre getrotzt. 2019 titelte der Deutschlandfunk noch „‚Chega‘ in Portugal – Neue rechte Partei wartet auf Erfolg“. Dieses Warten hat in diesem Jahr ein abruptes Ende gefunden. Bei den Wahlen im März ist das Land ein gutes Stück nach rechts gerutscht. Die Konservativen haben die sozialistische Partei abgelöst und die rechtspopulistische Partei „Chega“ hat ordentlich Stimmen dazu gewonnen – und wurde drittstärkste Kraft.
50 Jahre nach der friedlichen „Nelkenrevolution“, die die Diktatur beendete, steht Portugal vor echten politischen Herausforderungen. Ministerpräsident Luís Montenegro, Chef der Mitte-Rechts-Partei Demokratische Allianz, stellt eine Minderheitsregierung und schließt deshalb eine Zusammenarbeit mit der Chega nicht aus. Ein wackeliges Konstrukt.
Die Partei stellt sich klar gegen Feminismus, will Migration aus islamischen Ländern begrenzen und steht der Europäischen Union kritisch gegenüber. Auch das Thema Klimaschutz fand bislang keinen Platz im Wahlprogramm. Und Parteichef André Ventura forderte zum Beispiel in der Vergangenheit, Sinti*zze und Rom*nja in eine Art Zwangslager einzusperren, um damit die Ausbreitung des Corona-Virus zu verhindern.
Mit rassistischen Stereotypen und Populismus trifft die junge Partei einen Nerv, ist erfolgreich in sozialen Netzwerken. Auf ihren Wahlplakaten warb Chega beispielsweise mit „Säuberung“. Das gewachsene Misstrauen in die etablierten Parteien hat die Partei für sich genutzt. Das Erstarken rechter Kräfte ist ein weltweites Phänomen – und Portugal keine Ausnahme mehr.