Kampf um die Demokratie

Der Jurist Maximilian Steinbeis und sein Team loten aus, wie verwundbar die Thüringer Verfassung eigentlich ist – und wie die AfD den autoritären Umbau des Staates forcieren könnte. Sie sagen: Nur eine vorbereitete Demokratie sei wehrhaft.

Wie sehr ähnelt die heutige Bundesrepublik ihrer Vorgängerin? Diese Frage wird in den Tagen vor den Wahlen oft gestellt. Und die Sorge ist groß, dass sich Geschichte wiederholen könnte und damit der demokratische Konsens der Mitte zugunsten starker Ränder erodiert – und schließlich auf zunächst demokratischem Wege eine totalitäre Herrschaft ermöglicht wird.

Einer, der die Sorgen teilt, ist der Jurist und Publizist Maximilian Steinbeis. Anders aber als viele andere schaut der Mittfünfziger dabei nicht zurück in die Vergangenheit – sondern nach Osten. Die Entwicklungen in Polen oder Ungarn scheinen ihm geeigneter, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie autoritär-populistische Parteien vorgehen, wenn sie regieren und wie ihre Chancen stehen, dann die Axt an demokratische Ordnungen zu legen.

Ein negatives „Paradebeispiel“ dafür sei Ungarn, bemerkt Steinbeis: Dort haben Viktor Orbán und seine Fidesz-Partei mit einer Zweidrittelmehrheit die Verfassung so umgebaut, „dass es keinen Weg mehr gibt, diese Partei auf demokratischem Weg wieder von der Macht zu entfernen“.

„Nur eine vorbereitete Demokratie ist eine wirklich wehrhafte Demokratie.“

Steinbeis ist in diesen Monaten ein häufiger Gast in Fernsehstudios. 2009 gründete der gebürtige Münchner seinen „Verfassungsblog“, auf dem er eigene und Texte anderer zu politischen und verfassungsrechtlichen Fragen publiziert. Der Blog, hoch gelobt in akademischen Kreisen, blieb lange unter dem Radar der Öffentlichkeit. Das änderte sich im letzten Jahr, als Steinbeis das Thüringen-Projekt ins Leben rief. Das Ziel ist eine umfassende Analyse, welche Spielräume eine autoritär-populistische Partei auf Landesebene hat, um Demokratie und Rechtsstaat auf politischem Wege auszuhebeln.

Dabei spricht das Team bewusst nicht explizit über die AfD. Es gehe ihnen nicht um ein Parteienprojekt, heißt es. Am Beispiel Thüringens wird seither untersucht, wie verwundbar die demokratische Verfassung des Landes ist. Gerade dort, wo mit dem Landesverband unter Björn Höcke die AfD in ihrer wohl radikalsten Ausformung in Umfragen regelmäßig weit vorne liegt.

Steinbeis sagt, die meisten Menschen hätten einen starken Glauben an die Gesetze, die Verfassung und das Verfassungsgericht. Das sei grundsätzlich gut, schaffe jedoch häufig eine trügerische Sicherheit: Das, was im Ausland passiere, könne in Deutschland nicht geschehen, weil die Demokratie dafür zu resilient sei. In Polen hätten weite Teile der Öffentlichkeit „auch lange geglaubt, es gehe ,nur’ ein paar hochrangigen Richterinnen und Richtern an den Kragen und das habe nichts mit dem eigenen Leben zu tun.“

Als begriffen worden sei, „wie weitreichend die konkreten Auswirkungen sind, waren die entsprechenden Gerichte längst kaltgestellt“. Im Mai haben Steinbeis und sein mittlerweile mehr als zehnköpfiges Team einen ersten Bericht und Handlungsempfehlungen an die Politik vorgelegt. Nach mehr als 100 Fachgesprächen, umfangreichen Recherchen und Austausch mit der wissenschaftlichen Community, Fachwelt und Zivilgesellschaft haben sie verschiedene rechtliche Einfallstore ausgemacht.

Sollte die AfD – in Thüringen als gesichert rechtextremistisch eingestuft – nach der Landtagswahl mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag besetzen, könnte sie Einfluss nehmen, auch ohne direkt an der Regierung beteiligt zu sein: beispielsweise durch das Blockieren von Abstimmungen, für die eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist.

Dazu gehört in Thüringen auch die Wahl von rechtsprechenden Personen am Verfassungsgerichtshof. Sollte die AfD tatsächlich stärkste Fraktion im nächsten Thüringer Landtag werden, hätte sie auch das Recht, eine Person für das Amt der Landtagspräsidentin oder des Präsidenten zu nominieren.

Maximilian Steinbeis schlägt deshalb präventive Rechtsänderungen vor, um den Medienstaatsvertrag zu sichern oder genauso die Arbeitsfähigkeit des Landesverfassungsgerichts. Ein absoluter Schutz der Verfassung werde zwar auch so nicht entstehen, verdeutlicht Steinbeis. Aber: „Nur eine vorbereitete Demokratie ist eine wirklich wehrhafte Demokratie.“

Ist all das denn noch Wissenschaft? Oder schon Aktivismus? Steinbeis sagt, er kämpfe keinen im engeren Sinne politischen Kampf. „Es geht mir ja nicht um eine bestimmte politische Präferenz. Unser Thema sind nicht niedrigere oder höhere Steuern oder mehr oder weniger Umweltschutz. Worum es mir geht, sind die Bedingungen der Möglichkeit, für oder gegen höhere Steuern kämpfen zu können. Es geht darum, überhaupt weiterhin politische Vielfalt haben zu können.“ Diese Bedingungen seien aktuell in Gefahr.

„Und sich dafür ins Zeug zu legen, ist eben gerade keine politisch einseitige Positionierung. Jeder Jurist, jede Juristin, die sich an dem Punkt zurückzieht, schlägt sich in meinen Augen in die Büsche.“ Und das sei falsch, weil es die Verfassungsordnung im Stich lasse: „Im Moment müssen wir darum alle wie die Verrückten kämpfen. Das betrifft gerade Juristinnen und Juristen, finde ich: Das sind die Leute, die verstehen, was gerade passiert. Sie müssen dafür sorgen, dass die Maschine weiterhin funktioniert.“

Für Steinbeis selbst bedeutet das, diesen Kampf auch in Fernsehstudios zu führen, auch wenn das nicht seine Lieblingsumgebung ist. „Ich bin niemand, der sich wohlfühlt, wenn alle Scheinwerfer auf ihn leuchten. Ich kann dem jedoch nicht aus dem Weg gehen. Wenn es dazu beiträgt, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was gerade los ist, nehme ich das in Kauf.“

„Wenn viele Menschen etwas sehr dringlich nicht wollen, dann gibt es Möglichkeiten, das zu artikulieren.“

Doch wie groß ist das Bewusstsein dafür in der Gesellschaft eigentlich? Die mediale Aufmerksamkeit, die dem Thüringen-Projekt im Moment entgegen gebracht wird, ist groß. Zeitungen, Radio und Fernsehsender berichten. Bei einer Crowdfunding-Kampagne wurden innerhalb kürzester Zeit mehr als 150 000 Euro gesammelt, um mehrere wissenschaftliche Mitarbeitende für das Projekt finanzieren zu können. Doch daran, dass es vor der Wahl noch die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen und Schutzmechanismen geben wird, bestehen im Team ernsthafte Zweifel.

Für Maximilian Steinbeis aber kein Grund zur Resignation. In der Breite der Gesellschaft sei die Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinander zu setzen, in den vergangenen Monaten gewachsen. „Aber wir begegnen auch immer noch dieser Haltung, es gehe darum, sich mit den Themen der AfD zu beschäftigen und sie inhaltlich zu stellen.“ Darin bestehe aber die Gefahr, „dass so getan wird, als sei die AfD ein ganz normaler politischer Gegner“.

Das aber ist sie nicht, weil sie etwa rassistische und menschenfeindliche Positionen vertritt und ihre Verantwortlichen demokratische Grundregeln nicht für bindend halten. Die Versuchung sei bei vielen groß, sich blind zu machen für die Gefahren, die von der Partei ausgingen, meint Steinbeis.

Die Debatte zahle in jedem Fall auf das Konto der demokratischen Resilienz ein. „Und am Ende kommt es darauf an“, erklärt Steinbeis, „was die Leute wollen. Wenn viele Menschen etwas sehr dringlich nicht wollen, dann gibt es Möglichkeiten, das zu artikulieren und es deutlich zu machen.“ Das mache einen politischen Unterschied. „Es muss aber eben klar sein, dass dieser Unterschied in dem Maße schrumpft, in dem das politische System autoritär wird.“ Viele Menschen hätten in den vergangenen Monaten auf großen Demonstrationen klargemacht, dass sie keinen weiteren Rechtsruck wollten. „Das waren Hunderttausende, die ihren Standpunkt klargemacht haben – mit einer großen Dynamik. Diese Leute können einen Unterschied machen und etwas bewirken. Das ist genau das, was mir Hoffnung gibt.“

Bei den Wahlen im Osten droht ein Rechtsruck. Was tun? Haltung zeigen und mit anderen teilen: