Kassem Taher Saleh wurde 1993 in Zaxo (Irak) geboren. Er lebt seit seiner Kindheit in Sachsen, hat Bauingenieurwissenschaften in Dresden studiert und als Bauleiter Großprojekte realisiert. Seit 2021 sitzt er für Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag.
Wenn die AfD von einer „Remigration“ spricht, fühle ich mich zu einhundert Prozent mitgemeint. Diese Pläne betreffen mich als Geflüchteten, als PoC, als Muslim. Aber ich bin gleichzeitig auch Sachse, Ostdeutscher, Dresdner.
Und das gehört zur Ehrlichkeit dazu: So vielfältig und bunt ist unser schönes Bundesland geworden. Wir sind in der Politik vertreten, in der Wirtschaft, im Sport und in der Kunst. Es wären unfassbar viele Menschen betroffen, wenn diese Pläne Realität werden würden.
Im Parlament und auf den Straßen erlebe ich definitiv Hass, habe aktuell 13 Anzeigen deswegen laufen. Unterstützung bekomme ich dabei von HateAid. Es ist nicht meine Art, Politik zu machen, in dem ich darüber spreche. Aber ich könnte locker zwei Stunden von Begebenheiten erzählen, bei denen ich rassistisch behandelt wurde. Aufgrund meiner Sozialisation hier in Sachsen habe ich mir ein dickes Fell aufgebaut – aufbauen müssen, um hier in dieser Gesellschaft zu bestehen.
Die deutsche Staatsbürgerschaft ist für mich eine große Sicherheit. Ich habe sie seit 2018, davor einen unbefristeten oder befristeten Aufenthaltstitel. Ich konnte kein richtiges Auslandssemester außerhalb der EU machen und kann von Situationen erzählen, die so hirnrissig waren: nur wegen meines Passes.
Ich halte nichts davon, dass mein Geburtsort alleine darüber entscheidet, wo ich leben soll, wohin ich reisen kann oder welche Zugänge ich habe. Das widerspricht meiner gesellschaftlichen Vision.
Ich setze zu einhundert Prozent auf unsere Demokratie. Ich setze auf die Bürger*innen und bin der festen Überzeugung, dass Sachsen demokratisch ist. Selbst wenn die AfD 30 Prozent bekommt, bekennen sich 70 Prozent zu demokratischen Strukturen. Aber ich habe natürlich Sorge, dass die AfD zu einer extrem großen Oppositionsmacht werden könnte.
Wenn sie im sächsischen Landtag in Untersuchungsausschüssen bestimmte Anträge ins Parlament bekommt und Zugang hat zum Verfassungsschutz oder parlamentarischen Kontrollgremien – dann haben sie auch Zugang zu Informationen, die sie in ihre faschistischen Strukturen weitergeben.
Ich habe vor einiger Zeit eine Person getroffen, die mir früher im Fußball Werte wie Respekt, Gemeinschaft und Loyalität vermittelt hat, die immer eine Art Vaterfigur für mich war. Wir haben damals viel Zeit miteinander verbracht. Sie war sehr wichtig für mich. Auch jetzt war er herzlich, es war alles gut, wir haben uns erzählt, wie es uns geht. Und dann sagte er ganz grade heraus: „Ich wähle die AfD.“
Dass diese Partei es geschafft hat, in so einer gesellschaftlichen Breite anzukommen, vor allem bei solchen Menschen, das ist schlimm. Ich kenne diese Leute, ich habe sie erlebt. Die sind herzlich, respektvoll, glücklich, die loyalsten Menschen, die ich kenne. Ich weiß, wenn ich den Coach heute anrufe und ihm sage, dass ich ein Problem habe und seine Hilfe brauche, würde er alles stehen und liegen lassen und mir helfen.
Dass die AfD es geschafft hat, in diese Milieus reinzukommen, das finde ich wirklich beängstigend. Vor fünf Jahren haben die Leute sich nicht getraut zu sagen, dass sie AfD wählen. Heute scheint es Mainstream zu sein.
Ich glaube, den Menschen vor Ort fehlt einfach der politische Bezug. Und die AfD geht dort rein und sagt, dass sie die Politiker für diese Menschen sind. Das ist kompletter Schwachsinn. Die Partei investiert 90 bis 95 Prozent ihrer Gelder in Social Media. Und die demokratischen Parteien sind, weil sie regieren, verpflichtet, inhaltliche Arbeit zu machen.
Wenn ich 25 000 Euro pro Monat für meine Mitarbeitenden habe, dann sind das zwei, drei wissenschaftliche Stellen, vielleicht auch fünf. Dann habe ich ein, zwei Leute für Presse- und Kommunikationsarbeit – vieles davon läuft nebenbei. Aber ich brauche die Expertise, ich kann mich nicht alleine in alle Themen einarbeiten. Die AfD hingegen setzt nur auf Social Media, die hat parlamentarisch gar nichts drauf. Weder im Stadtrat noch im Landtag noch auf Bundesebene. Nichts haben die drauf.
Wenn ich mich inhaltlich mit deren Anträgen auseinandersetze, dann ist das komplett schwachsinnig – sei es inhaltlich, verbal oder grammatikalisch. Das checken die Leute aber nicht. Und das haben die demokratischen Parteien meiner Meinung nach etwas zu spät erkannt. Seit Anfang des Jahres ist es etwas besser geworden, weil wir mehr auf Social Media kommunizieren.
Ich hoffe einfach, dass es noch reicht bis zu den Landtagswahlen. Dass die Menschen verstehen, dass die AfD China und Russland auf der Tasche liegt und dass sie unseren Wohlstand vernichten würde, den wir seit Jahrzehnten aufgebaut haben. Helmut Schmidt hat mal gesagt, das Schneckentempo sei das normale Tempo der Demokratie. Sie braucht Zeit, damit möglichst viele Perspektiven berücksichtigt werden können.
Und was wäre denn die Alternative? Ich kenne die Diktatur, ich weiß, wie scheiße die ist. Glaubt mir: Es gibt keine Alternative zur Demokratie.