Wir haben die autoritäre Wende überschritten

Mehmet Arbag ist Politikwissenschaftler und politischer Bildungsreferent. Beim Verband binationaler Familien und Partnerschaften Leipzig leitet er das „Kompetenznetzwerk Islam- und Muslimfeindlichkeit“.

Ob ich betroffen bin, wenn die AfD von „Remigration“ spricht? Das ist nicht die richtige Frage. Ich möchte das gerne umdrehen: Es ist bedrohlich, wenn die AfD und andere rechte Kräfte diese Dinge aussprechen, sich konspirativ treffen und Pläne aushecken. Nicht nur für mich oder für migrantisierte und rassifizierte Menschen. Das ist für die gesamte Gesellschaft eine Bedrohung.

Dieses Verständnis kommt leider viel zu kurz. Viele Bürger*innen verstehen nicht, dass es eine konkrete Bedrohung für sie bedeutet, wenn solche Pläne ausgearbeitet werden. Hier würde ich gerne ansetzen und vermitteln, dass für uns alle sehr viel auf dem Spiel steht. 

Rassismus ist ein gesellschaftliches Ungleichheitsverhältnis. Und wir wissen, dass genau die Menschen, die von Rassismus betroffen sind, mit Rassismus eigentlich gar nichts zu tun haben, sondern dass das eine Konstruktion ist. Rassismus ist dynamisch: Er trifft immer unterschiedliche Menschen und hat unterschiedliche Feindbilder und Projektionen.

Nur weil heute muslimische Menschen und als solche gelesene Personen im Fokus stehen, heißt das nicht, dass es morgen nicht andere Gruppen treffen kann. Wenn wir uns die Geschichte des Rassismus und autoritärer Regime anschauen, ist klar, dass es nur für alle schlecht ausgehen kann.

Als die Correctiv-Recherchen Anfang des Jahres veröffentlicht wurden, war ich überrascht und fand es skandalös. Gleichzeitig war ich gar nicht wirklich überrascht, weil wir, die seit Jahren und Jahrzehnten antirassistische Arbeit machen, genau wissen, mit welcher Weltsicht, welchen Vorstellungen und „Visionen“ für Deutschland bestimmte Akteure unterwegs sind.

Die AfD in Sachsen ist ja keine neue Entwicklung. Hier hat es die NPD schon 2004 ins Parlament geschafft und den Weg für ein völkisches, rassistisches, nationalistisches und rechtsextremes Programm geebnet. Das ist nicht neu oder innovativ. Die „Remigrationspläne“ sind Ideen aus der rassistischen Mottenkiste, die immer wieder hervorgeholt und konkretisiert werden. Das passiert gerade wieder, weil die Akteure eine bestimmte Macht haben.

Bisher hat diese Machtkomponente ein Stück weit gefehlt, weil die Zugänge zur kritischen Infrastruktur nicht vorhanden waren. Wir stehen an einem autoritären Kipppunkt. Die AfD und andere rechtsextreme Kräfte sitzen nun an den nötigen Machtpositionen und stehen in den Startlöchern. Manchmal wundere ich mich, wenn Leute noch von einem „Rechtsruck“ sprechen. 

Vielleicht braucht die Gesellschaft ja dieses spezielle Momentum, um zu begreifen, was sich seit Langem zusammenbraut. Aber auch wenn Millionen auf die Straße gegangen sind, ist keine wirkliche Bewegung entstanden. Es ist verpufft. Zeitgleich gibt es eine Politik, die gerne mitmacht. Das waren ja keine Demonstrationen gegen Rassismus, das waren Demos gegen die AfD.

Die Parteien der Ampel-Koalition sagen, sie würden gegen die AfD stehen und sie seien die Brandmauer. Und was passiert im selben Atemzug? Eine Politik der Abschottung und Ausgrenzung. Während in zig Städten Demos stattfanden, wurde gleichzeitig ein Rückführungsgesetz verabschiedet, über das Menschenrechtsorganisationen sagen, dass es mehr Abschiebungen bedeutet. Zu verstehen, dass beides Hand in Hand geht und wir eigentlich die autoritäre Wende schon überschritten haben, ist sehr deprimierend. 

Wir müssen uns klarmachen, dass Menschen nicht aus Versehen ihr Kreuz bei der AfD machen. Der Versuch, ihnen irgendwie recht zu geben und sie damit abzuholen, führt meiner Meinung nach nirgendwo hin.

Ich kann nachvollziehen, dass sich Menschen bedroht fühlen und das Gefühl haben, weggehen zu müssen. Das sollte auch ernst genommen werden. Ich bin tatsächlich ein optimistischer Mensch, auch wenn ich spüre, dass viel auf dem Spiel steht. Meine Eltern sind aus politischen Gründen als Kurd*innen in den Neunzigerjahren aus der Türkei geflohen. Ich möchte eigentlich nicht deshalb aus Sachsen wegziehen, weil es hier nicht mehr tragbar ist.

Natürlich kann ich nicht in die Zukunft schauen und sagen, wie es mir nach der Landtagswahl gehen wird. Die Zivilgesellschaft, die hier mühsam etwas aufgebaut hat, ist jetzt in Gefahr. Deshalb möchte ich mit anderen Lösungen finden, um weiterkämpfen zu können. 

Was ist ...

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Dieses Rechercheprojekt wurde gefördert durch die Amadeu Antonio Stiftung und die Schöpflin Stiftung.